Ein Tag im Oktober, graue Wolken behängen den Herbsthimmel, Nebelfetzen ziehen über die Felskanten des Dachsteins. Die Ahornbäume in der Ramsau, der Hochebene südlich der Gebirgsgruppe, werfen ihr Laub auf abgemähte Wiesen und verwaiste Straßen. Der Spätsommer hat sich längst verabschiedet, der goldene Herbst ringt um seine letzten Atemzüge. Im Limbo zwischen Wander- und Skisaison sind die Parkplätze vor den Hotels leer, die Zimmer vermutlich gerade günstiger als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt im Jahr. Auf einem dieser leeren Hotelparkplätze steigt Sebastian Ströbel aus dem Auto. Der Schauspieler strahlt zur Begrüßung ein Lächeln aus, wie es kein Gastgeber in Österreich einnehmender hinbekommen könnte.
„Hallo, ich bin Sebastian, schön, dass es klappt“, sagt Ströbel und streckt seine Hand aus. Sein Outfit verstärkt das Gefühl augenblicklicher Verbundenheit: Er trägt Rennradkleidung – eine olivgrüne Radlerhose, farblich passende Handschuhe und dazu ein dunkelblaues Langarmtrikot mit je einem breiten weißen und pinkfarbenen Querstreifen. Gemeinsam in Rennradmontur verortet man sich auf Augenhöhe, in Funktionskleidung sind wir alle gleich. Ströbel öffnet den Kofferraum seines Kombis und hebt sein Rennrad heraus. „Wo wollen wir entlangfahren?“, fragt er und schlägt nach kurzer Pause eine Route vor, schließlich ist das hier sein Revier.
Sieben Monate im Jahr verbringt der 47-jährige Schauspieler in der Ramsau. Vor der Kulisse des Dachsteins spielt Ströbel seit 2014 die Hauptrolle in der ZDF-Serie „Die Bergretter“, einer stets 90-minütigen Mischung aus Heimatfilm, Drama, Soap und Action im Stil von „Alarm für Cobra 11“. Sieben Monate im Jahr verbringt der 47-Jährige in der Ramsau. An den Wochenenden pendelt er mit dem Auto nach Hause in die Nähe von Hamburg, wo er mit seiner Frau und vier Töchtern wohnt; wobei: Die älteste Tochter ist gerade ausgezogen, um ein freiwilliges soziales Jahr zu leisten. Die Serie ist so erfolgreich, dass sie den Tourismusverband in der Region gewiss begeistert. „Viele Besucher kommen extra wegen uns hierher“, sagt Ströbel, der in der Serie Markus Kofler heißt und ein Team von Bergrettern anführt. Auch an diesem Tag, in der touristenarmen Zeit, zieht der Schauspieler während der Rennradrunde Aufmerksamkeit auf sich. An einer Mautschranke grüßt „die Martina“ hinter der Kasse, beim Mittagessen auf einer Hütte serviert die Bedienung vertraute Grüße zum Kaspressknödel, und die Besucher an den Nachbartischen werfen erkennende Blicke herüber.
Das Rennradfahren bietet Ströbel Ausgleich in den Pausen zwischen den Dreharbeiten. „Ich habe generell viel Energie“, sagt er. Die müsse irgendwohin, oder anders gesagt: irgendwo raus. Zum Beispiel auf einer kurzen Feierabendrunde hinauf zum nahen Stoderzinken. Den Puls hochjagen, schwer schnaufen, die Beine brennen lassen, ein Ziel erreichen: eine Bergstation, eine Alm oder, wenn etwas mehr Zeit ist, ein Ort fernab der Ramsau, wie etwa das Kloster Stift Admont kurz vor dem Nationalpark Gesäuse. Allein gegen die Steigung, allein auf dem Rennrad gegen sich selbst, das sortiert den Kopf und verschafft am Ende ein Gefühl zufriedener Erschöpfung, sagt Ströbel.
„Das ist irre, wie schnell man als Gruppe im belgischen Kreisel fahren kann“, sagt Ströbel. In der Ramsau ist der „Bergretter“-Darsteller aus dem Norden zwar meistens solo auf dem Rennrad unterwegs. Gefunden hat er zu dieser Leidenschaft jedoch durch das Gemeinschaftserlebnis, das dieser vermeintliche Einzelkämpfer-Sport bietet. Ronny Scholz, ein ehemaliger Radprofi, lud ihn vor ein paar Jahren ein, mit ihm die Hamburg Cyclassics zu fahren, ein Eintagesrennen mit vielen Kilometern und wenigen Höhenmetern. „Da habe ich den belgischen Kreisel kennengelernt“, erzählt Ströbel. „Das ist irre, wie schnell man auf diese Art als Gruppe fahren kann.“ Beim Kreisel fährt der vorderste Radler immer nur kurz „im Wind“, gibt alles, jagt Puls und Atmung in die Höhe. Die Fahrer dahinter schöpfen währenddessen im Windschatten Kraft, bis sich der Spitzenfahrer wieder ans Ende des Rudels einsortiert und der Nächste im Dienst der Gruppe leidet. „Das finde ich großartig zu spüren, was man als Team erreichen kann“, sagt Ströbel.
Die Tour am Fuße des Dachsteins an diesem Oktobertag ließe sich auch als Ramsauer Kreisel bezeichnen: viermal eine gut zehn Kilometer lange Runde mit je zwei Steigungen. Für eine längere Strecke fehlt die Zeit, es soll am Nachmittag regnen. Der „Ramsauer Kreisel“ drängt sich außerdem auf, weil die Tour dem Zweck eines Gesprächs dient, was auf den kurvigen Straßen hinunter nach Schladming im Ennstal nicht möglich wäre – zu viel Verkehr.
Die Schuhe rasten in die Pedale ein, runter vom leeren Hotelparkplatz, raus auf die Straße und erst einmal ein paar Hundert Meter bergab rollen, bis es scharf rechts abgeht und eine kurze Steigung die Atmung beschleunigt. Danach: Die Straße ist frei, windet sich zwischen Pensionen, Bauernhöfen, Wiesen und Waldstücken hindurch. Pferde stehen auf einer Weide, neben einem Straßenpfosten sitzt eine Katze im Gras. Immer wieder im Blick: der Fels des Dachsteins, seines Zeichens ZDF-„Bergretter“-Kulisse. Eine Autofahrerin hupt, weil sie es als Anfechtung empfindet, auf einer verwaisten, freien und übersichtlichen Straße zwei Rennradler zu überholen, die nebeneinander fahren und sich unterhalten. Klassikerszene.
Ströbel ist ohne GPS-Radcomputer unterwegs und lädt seine Runde auch nicht auf einem „Seht mal alle her, was ich gefahren bin“-Portal hoch. Er betreibt den Sport auf unprätentiöse Art. Das Rennradfahren scheint eine Sache zwischen ihm, der Straße und dem Rad zu sein. Publikum findet er ja als Schauspieler. Sein schwarzes Rad ist keines jener Modelle, für deren Preis auch ein neuer Kleinwagen zu haben wäre. Es hat ein paar Jahre auf dem Karbonbuckel, das blaue Lenkerband ist auf der rechten Seite aufgerissen. Doch auch dieses Rad beschenkt seinen Fahrer mit dem schwerelosen Gefühl des Rollens, wie es nur Rennräder vermögen. Auf der dritten Runde um den bewaldeten Buckel am Fuß des Dachsteins kommt das Gespräch trotzdem dort an, wo fast jede Unterhaltung auf dem Rennrad einmal haltmacht: beim Material, also dem, das man gerne besäße, wenn Geld und Vernunft keine Rolle spielen würden.
Einmal ist er hier gestürzt, er hatte Glück. Geholfen haben ihm „Bergretter“-Fans. Nach einer Passage zwischen Wiesen, vorbei an einem großen Bergahorn, mündet die Route auf die Landesstraße, einmal rechts, dann rollen wir bergab. Der Tacho zeigt Geschwindigkeiten jenseits der 60 Kilometer pro Stunde an, das Gespräch muss pausieren. Im Ort ist die Straße aufgerissen, Baumaschinen versperren die Durchfahrt. Die Unterhaltung knüpft wieder an den Gedanken an, der vor der Tempopassage dem Fahrtwind weichen musste: Es geht um den Kitzel der Geschwindigkeit, den das Rennrad den Freunden dieser Leidenschaft beschert.
Dabei müsste Ströbel den Reiz des Risikos nicht suchen. Er klettert, ist rollengetreu viel in den Bergen unterwegs und hat gerade das Buch „Die Bergretter: Meine Erfahrungen bei den Dreharbeiten und was ich von den echten Bergrettern lernte“ veröffentlicht. Festes Element der Dreharbeiten scheint es zu sein, an einem langen Seil unter dem Hubschrauber zu hängen und über dem Abgrund zu baumeln. Stunts macht er selbst, morgen steht ein Sprung ins Leere auf dem Drehplan.
Was kann da das Rennrad noch an Nervenkitzel bieten? „Das Bewusstsein dafür, dass bei den hohen Geschwindigkeiten auf einer Abfahrt nichts passieren darf“, sagt Ströbel. Einmal ist er hier in der Ramsau mit recht hoher Geschwindigkeit gestürzt, das Hinterrad saß locker im Rahmen, eine gefährliche Nachlässigkeit. „Ich habe Glück gehabt und mir nur große Abschürfungen geholt“, erzählt er. Ein Auto hielt damals neben ihm, um zu helfen; es waren „Bergretter“-Fans. „Ich habe denen die Autositze vollgeblutet“, sagt Ströbel. Doch das machte wohl nichts, ist halt auch eine Spitzengeschichte: den Bergretter zu retten, der statt sicher an einem Hubschrauber zu hängen, vom Rennrad gefallen ist. Und seitdem? Weiter, immer weiter.
Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Gegenstände braucht Sebastian Ströbel zum Rennradfahren:
Der Helm: „Ohne Helm steige ich nicht aufs Rennrad. Das ist mir wirklich egal, wie das aussieht, da bin ich komplett uneitel. Unter dem Helm trage ich gerne eine Fahrradkappe. Das hält den Schweiß fern und hilft, wenn die Sonne direkt von vorn kommt.“
Die Brille: „Die Brille ist mehr als nur ein Accessoire. Ohne Schutz würde der Fahrtwind die Augen austrocknen, und wenn einem Insekten während der Fahrt ins Auge fliegen, tut das höllisch weh. Je größer die Brille ist, desto besser. Dann ist das Sichtfeld nicht eingeschränkt.“
Die Trinkflasche: „Ich habe immer zwei von diesen Flaschen auf Rennradtouren unterwegs. Ich bin ja auch eher ein Schönwetterfahrer, und wenn es heiß wird, brauchst du in den Bergen wirklich genug zu trinken. Ich habe immer ein Elektrolyt-Zeug in den Flaschen, meistens mit Zitrusgeschmack.“