(Berlin) Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte am Dienstag in einer Rede vor dem Bundestag in Berlin, dass die prorussische Rhetorik in Europa eine wachsende Gefahr für die EU-Staaten darstelle.

Um die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, auf die sein Land bei der Suche nach internationaler Unterstützung stoßen könnte, boykottierten Abgeordnete der rechtsextremen AfD- und der linksextremen BSW-Partei seine Rede.

Als er sich unter Applaus ans Rednerpult des Unterhauses des Deutschen Bundestages begab, stand der ukrainische Präsident vor den Plätzen, die fast alle der 77 Abgeordneten der rechtsextremen AfD in Deutschland freigelassen hatten.

Dieselbe Wahl des Boykotts durch die zehn Abgeordneten der linksradikalen Partei BSW, die kürzlich von einer Figur der deutschen politischen Szene, Sahra Wagenknecht, auf einer souveränistischen Linie ins Leben gerufen wurde.

Beide Parteien akzeptierten ihre Entscheidung: „Wir weigern uns, einem Redner in Tarnung zuzuhören“, erklärte die AfD-Spitze in einer Erklärung und glaubte, dass „die Ukraine keinen Präsidenten des Krieges, sondern einen Präsidenten des Friedens braucht.“

Für diese beiden Parteien war die Europawahl am Sonntag ein Erfolg: Die AfD landete bei der Abstimmung mit knapp 16 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz hinter den Konservativen.

Mit einer kritischen Rede zu Einwanderung und Waffenlieferungen in die Ukraine übertraf die BSW-Partei 6 % der Stimmen und übertraf damit die historische linksextreme Bewegung Die Linke (2,7 %), aus der Frau Wagenknecht stammt.

Bei einem Besuch in Berlin anlässlich einer internationalen Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine äußerte Wolodymyr Selenskyj seine Besorgnis über den Wahlerfolg von Gruppen „mit radikalen prorussischen Parolen“.

Es sei „gefährlich für eure Länder“, sagte er während einer Pressekonferenz an der Seite von Olaf Scholz.

Er forderte außerdem die Verbündeten seines Landes auf, ihre Luftverteidigungshilfe zu erhöhen.

„Es ist der Terror von Raketen und Bomben, der den russischen Truppen hilft, am Boden voranzukommen“, sagte Selenskyj vor einer Gruppe hochrangiger europäischer Beamter.

„Solange wir Russland nicht die Möglichkeit nehmen, die Ukraine (den russischen Präsidenten Wladimir) zu terrorisieren, wird Putin kein wirkliches Interesse daran haben, einen fairen Frieden zu suchen“, argumentierte er und schwor, dass „Verteidigungsluft die Antwort ist.“

Auf der diplomatischen Agenda des ukrainischen Staatschefs stehen eine Reise nach Italien zum G7-Gipfel am Donnerstag und die anschließende „Friedenskonferenz in der Ukraine“, an der am Samstag und Sonntag mehr als 90 Länder und Organisationen in der Schweiz teilnehmen werden, nicht jedoch Russland noch China.

Die deutsche Bundeskanzlerin stimmte Selenskyj zu und forderte die westlichen Verbündeten auf, mehr zu tun, damit die Ukraine ihre lebenswichtige und zivile Infrastruktur schützen kann.

„Was die ukrainische Armee heute am meisten braucht, sind Munition und Waffen, insbesondere für die Luftverteidigung“, sagte er und erinnerte insbesondere daran, dass Berlin kürzlich beschlossen hat, ein drittes Luftverteidigungssystem „Patriot“ zu liefern.  

Nach Angaben des ukrainischen Staatschefs wären mindestens sieben Patriot-Batterien notwendig, um die großen städtischen Zentren seines Landes zu schützen.

Olaf Scholz bekräftigte, dass es „keinen militärischen Sieg oder Frieden geben werde, der von Wladimir Putin diktiert“ werde.

„Dieses Bewusstsein zu fördern ist die Herausforderung des Friedensgipfels, der dieses Wochenende in der Schweiz stattfinden wird“, erklärte der Leiter.

Später am Dienstag besuchte Herr Selenskyj zusammen mit dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius ein militärisches Trainingslager in Sanitz, Norddeutschland, wo ukrainische Truppen im Umgang mit Patriot-Systemen geschult werden.

Letzterer versprach der Ukraine hundert zusätzliche Patriot-Raketen sowie Scharfschützengewehre, Panzerabwehrwaffen und Drohnen.

Energiesicherheit und der Wiederaufbau des ukrainischen Stromnetzes werden auch in der Schweiz im Mittelpunkt der Diskussionen stehen.

Wolodymyr Selenskyj sagte am Dienstag, dass die russische Bombardierung der Energieinfrastruktur dazu geführt habe, dass sich die Stromproduktion der Ukraine seit dem Winter halbiert habe.

Ihm zufolge wurden 80 % der thermischen Produktion und ein Drittel der Wasserkraftproduktion durch russische Angriffe zerstört, die in den letzten Monaten zahlreiche ukrainische Kraftwerke ins Visier nahmen, nachdem ein Bombenangriff im Vorjahr bereits zu massiven Kürzungen geführt hatte.

Als Folge der russischen Streiks kündigte der nationale Betreiber Ukrenergo am Dienstag an, die Stromrationierung im ganzen Land auszuweiten, wobei Einschränkungen von 14.00 bis 23.00 Uhr (Eastern Time) geplant seien.